Cover
Titel
The Greco-Roman East. Politics, culture, society


Herausgeber
Colvin, Stephen
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 278 S.
Preis
£50.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Sommer, School of Archaeology, Classics and Egyptology, University of Liverpool

"Politics - Culture - Society": Der eingängige Dreiklang klingt als Untertitel eines nicht eben dickleibigen Bandes fast schon vermessen, zumal der Gegenstand (der griechisch-römische Osten der Mittelmeerwelt) schier so riesig und unübersichtlich ist, dass man sich fragt, wie acht Autoren ihm in sieben Beiträgen angemessen zu Leibe rücken wollen. Immerhin gibt es eine sie alle verbindende Klammer: Die Beiträge des als Sammelband, nicht als Tagungspublikation, entstandenen Buches behandeln vorzugsweise Aspekte der materiellen Kultur, ob Keramik, Münzen und Architektur (Nigel Pollard in seinem Aufsatz über das parthische Dura-Europos) oder immer wieder Inschriften (alle übrigen Beiträge). Besorgt wurde die Herausgabe von Stephen Colvin, Lecturer in Classics and Historical Linguistics am University College London (vormals in Yale) und auf Fragen griechischer Onomastik spezialisiert.

Das Kernproblem einer Publikation, die sich mit völlig unterschiedlichen Zugangsweisen einem ganzen Kaleidoskop von Problemstellungen in so unterschiedlichen Räumen wie Lykien, Kilikien, Karien, Galatien und dem parthischen Territorium Mesopotamien-Parapotamien widmen, dazu noch für Hellenismus und römische Kaiserzeit, ist denn auch mangelnde Kohärenz. Weniger wäre wie so oft wieder einmal mehr gewesen: Die Beschränkung auf Kleinasien unter Zuhilfenahme einer verbindenden wie verbindlichen Fragestellung hätte dem Band gewiß zum Vorteil gereicht und ihm das nötige Quantum Geschlossenheit verliehen. Vor allem hätte sie dem Herausgeber die Möglichkeit gegeben, mit einer Einleitung zu glänzen, in der er die Probleme umreißt und den - von ihm zu recht konstatierten - immensen Wissenszuwachs der letzten 20 Jahre in ein angemessenes Licht rückt. So ist leider der Leser gezwungen, sich am Büfett nach Gusto zu bedienen. Am Ende haftet der Zusammenstellung der schale Nachgeschmack der Beliebigkeit an.

Dabei sind die einzelnen Beiträge durchweg gespickt mit Erkenntnissen, die ihre Bedeutung weit über enge Spezialgebiete hinaus entfalten: Angelos Chaniotis ("Under the Watchful Eyes of the Gods. Divine Justice in Hellenistic and Roman Asia Minor") geht Beichtinschriften im ländlichen Kleinasien nach und fragt nach ihrer religiösen und sozialen Semantik. Er deutet sie nicht als Instrumente zur Einschüchterung der ländlichen Bevölkerung, sondern als Bausteine der durch Priester vermittelten Kommunikation zwischen Göttern und Menschen, die den Beichtenden die tröstliche Gewissheit vermittelten, dass es göttliche Gerechtigkeit gibt.

Stephen Colvin ("Names in Hellenistic and Roman Lycia") legt eine onomastische Studie vor, die auf der Analyse griechischer und lykischer Inschriften fußt. Kaum überraschend behauptet der Verfasser, der Prozess griechischer Akkulturation in Lykien habe seine Spuren im "onomastic behaviour" der lokalen Bevölkerung hinterlassen (S. 69), eine These, der man, so pauschal vorgetragen, angesichts der Befunde in anderen Teilen des griechisch-römischen Orients mit Reserve begegnen darf.1 Lucius Gellius Maximus, der Leibarzt Caracallas, war ein Sohn der Stadt Antiocheia in Pisidien und darf wohl als wichtiger Fürsprecher dieser Polis im System der kaiserlichen Maklerpatronage gelten.2 Die Wege der Kommunikation zwischen der kleinasiatischen Stadt und ihrem Patron einerseits sowie dem Kaiser andererseits untersuchen Michel Christol und Thomas Drew-Bear in ihrer Studie "Caracalla et son médicin L. Gellius Maximus à Antioche de Pisidie", einer eindrucksvollen epigrafischen Miniatur.

Dem im hellenistischen Kleinasien verbreiteten Phänomen des politischen Zusammenschlusses zweier oder mehrerer Poleis gilt der Beitrag von Gary Reger ("Sympoliteiai in Hellenistic Asia Minor"). Er unterscheidet zwischen Sympoliteiai auf Initiative der königlichen Zentralmacht und solchen, die auf lokales Betreiben zurückgingen, stets auch die Interessen der schwächeren Partner zu berücksichtigen hatten und - wie Reger überzeugend darlegt - vermutlich den rhodischen "Synoikismos" zum Vorbild hatten. Das uneinheitliche Bild der "Hellenisierung" Kilikiens zeichnet in der Perspektive der langen Dauer Giovanni Salmeri ("Hellenism on the Periphery. Cilicia") nach. Hellenisierung auf anderen Feldern konnte mit der sprachlichen Gräzisierung nicht Schritt halten, so dass "Hellenisierung" (ähnlich wie "Romanisierung") als universelles Paradigma insgesamt anfechtbar erscheint, eine Schlussfolgerung, zu der auch der nachfolgende Beitrag verleitet: Leon, Sohn des Chrysaor, aus Stratonikeia in Karien wirkte in seiner Heimatstadt als Priester des lokalen Zeus Karios. Zwei kürzlich gefundene, an ihn adressierte Ehrinschriften aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v.Chr. beleuchten, im Verbund mit einer lange bekannten Inschrift, die Genese städtischer und religiöser Identitäten im Karien der Seleukidenzeit. Die Untersuchung der Texte durch Riet van Bremen ("Leon son of Chrysaor and the Religious Identity of Stratonikeia in Caria") zeigt, wie ungefestigt und diffus diese Identitäten auch nach der Gründung der hellenistischen Stadt blieben und wie vermutlich ältere, lokale Prägungen überdauerten.

Geografisch wie von der Art des behandelten Materials her aus dem Rahmen fällt die Studie über das parthische Dura-Europos von Nigel Pollard ("Roman Material Culture across Imperial Frontiers? Three Case Studies from Parthian Dura-Europos"), die eine kritische Bestandsaufnahme der immer wieder behaupteten grenzüberschreitenden Importe römischer Artefakte ins parthische Mesopotamien leistet. Anhand dreier "Fallstudien" (Keramik, Münzen, Architektur) gelangt Pollard zu dem Ergebnis, ein signifikanter materieller Einfluss Roms auf das parthische Dura-Europos, ja dessen Teilhabe an römischen Wirtschaftskreisläufen, lasse sich nicht beobachten. Die Funddichte römischer Terra Sigillata (Eastern Sigillata A) sei zu gering und die Datierung von Münzen und der Thermenanlage im Planquadrat F3 in die parthische Periode zu unsicher, um daraus weitreichende Schlüsse zu ziehen.

Insgesamt also eine Darreichung interessanter Forschungsergebnisse, die jedoch allesamt eine bessere Präsentation verdient hätten. Immerhin dürfte es dem Band gelungen sein, seinen Lesern die Attraktivität des griechisch-römischen Ostens und seiner reichen materiellen Kultur vor Augen geführt zu haben. Vor ihr mögen freilich viele in Ehrfurcht erstarren und tiefschürfenden Detailstudien den Vorzug vor wohlfeilen Synthesen geben.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Macdonald, Michael, Personal Names in the Nabataean Realm. A Review Article, in: Journal of Semitic Studies 44 (1999), S. 251-289.
2 Zum Begriff der Maklerpatronage vgl. Flaig, Egon, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im römischen Reich, Frankfurt am Main 1992, S. 170; Seelentag, Gunnar, Taten und Tugenden Trajans. Herrschaftsdarstellung im Principat, Stuttgart 2004, S. 49f.

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